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Sind Peking und Moskau auf dem Weg zum Sieg? Interview zu den chinesisch-russischen Beziehungen

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  1. Für Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ist der Kreml auf kein Land mehr angewiesen als auf den großen Nachbarn China. Was erhofft sich Putin von China angesichts des Ukraine-Krieges?

Offensichtlich will der Kreml von China so viel Unterstützung, wie er bekommen kann. Aufgrund der gemeinsamen antiamerikanischen und antiliberalen Frontstellung der beiden Autokratien und des Taiwanfaktors wird Russland auch weiterhin erheblich und womöglich noch größere Hilfe von China erhalten. Jedoch ist die Interessenlage Pekings eine in mancher Hinsicht andere als die Moskaus. Einerseits wäre eine noch stärkere chinesische Unterstützung Russlands für die ohnehin krisenanfällige chinesische Wirtschaft riskant, da der Westen Sanktionen gegen Banken und Firmen Chinas ausweiten könnte. Andererseits darf der pazifistischen und völkerrechtskonformen offiziellen Rhetorik Pekings mit Skepsis begegnet werden. China ist – wie die dosierte Unterstützung für Russland indiziert – an einer möglichst langen Fortsetzung des Krieges interessiert, da der Konflikt westliche Ressourcen bindet und Washingtons Aufmerksamkeit von den Aktivitäten Pekings ablenkt. China zieht als lachender Dritter Nutzen aus den verschiedenen Rückwirkungen des Krieges im gesamten euroasiatischen Raum – vor allem in Russland selbst, aber auch in Europa, Zentralasien, Ostasien usw.

  • In welcher großen Abhängigkeit befindet sich Russland zu China – militärisch sowie wirtschaftlich?

Die Abhängigkeit ist inzwischen groß und wird womöglich weiter wachsen. China ersetzt frühere westliche Handels- und Investitionspartner Russlands, und Chinas relative Macht gegenüber Russland steigt mit jedem Kriegsmonat. Die russische Rüstungswirtschaft erzeugt mit ihrer Produktion von Waffen und anderen Kriegsgütern ein Scheinwachstum, welches einen tatsächlichen ökonomischen Niedergang des Landes verschleiert. Freilich wird auch die chinesische Wirtschaft derzeit von Krisen geschüttelt. Doch wächst sie bislang weiter und profitiert vom russischen Rohstoffreichtum sowie großen Konsumgütermarkt. Hinzu kommt, dass Russland offenbar immer mehr Transfers seiner modernen Militärtechnologien nach China zulässt.

  • Inwiefern nutzt China Russlands missliche Lage zum eigenen Vorteil aus?

Peking will Moskau offenbar weder vollständig gewinnen noch auf ganzer Linie verlieren lassen. Ein russischer Sieg mit chinesischer Unterstützung würde Moskau stärken, jedoch den Westen von Peking weiter entfremden. Eine russische Niederlage würde Putins Regime destabilisieren sowie eine anschließende russische politische Transformation bzw. Destruktion auslösen. Dies könnte Russland als antiamerikanischen Juniorpartner Chinas ausschalten. Man sollte vor dem Hintergrund dieser Interessenlage und Pekings offensichtlicher Verletzung seiner Verpflichtungen gegenüber Kyjiw nicht allzu viel auf chinesische Friedensaufrufe geben. China hat wiederholt und offiziell – z.B. 1994 als offizieller Nuklearwaffenstaat im Zusammenhang mit dem Beitritt der Ukraine zum Atomwaffensperrvertrag sowie 2013 im Rahmen des inzwischen voll ratifizierten chinesisch-ukrainischen Freundschaftsvertrages – seinen Respekt für die Souveränität und Grenzen der Ukraine bekundet. Seit 2014 ist Pekings Scheinneutralität jedoch eine entscheidende Bedingung dafür, dass Russland seine unverblümte Grenzrevision und genozidale Aggression gegenüber der Ukraine durchsetzen kann.

d) Wie groß ist die Gefahr des geeinten Bündnisses China und Russland für die westliche Welt – vor allem für die USA?

Zurzeit erweckt die Allianz Pekings und Moskaus tatsächlich den Eindruck einer stabilen antidemokratischen und antiamerikanischen Einheitsfront, welcher zudem eine Reihe berüchtigter Schurkenstaaten, wie der Iran, Nordkorea oder Syrien, angehören. Doch sollte man nicht vergessen, dass autoritäre Regime bezüglich ihrer Außen- und Innenpolitik unter hoher Wechselhaftigkeit leiden. Die Weltgeschichte zeigt, dass offene politische Systeme, in denen Wettbewerb, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus möglich sind, nicht nur für ihre eigenen Bürger, sondern auch außenpolitisch leistungsfähiger sind. Sie können sowohl mit inneren Spannungen als auch mit Konflikten mit ihren internationalen Partnern besser umgehen. Wichtig ist für den Westen vor diesem Hintergrund, in ambivalenten Situationen wie der heutigen, seine Ent- und Geschlossenheit zu bewahren und konkret jetzt die Ukraine in vollem Umfang zu unterstützen. Ein mit westlicher Unterstützung errungener ukrainischer Sieg auf dem Schlachtfeld und die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine ist heute das beste Mittel zur Eindämmung des russischen und chinesischen Revisionismus.


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