Home » Posts tagged 'Russia'

Tag Archives: Russia

NEW BOOK: Who Are the Fighters? Irregular Armed Groups in the Russian-Ukrainian War since 2014 (ibidem Press 2024)

Andreas Heinemann-Grüder (ed.)

Who Are the Fighters? Irregular Armed Groups in the Russian-Ukrainian War since 2014

Stuttgart: ibidem-Verlag, 2024. Distributed by Columbia University Press

https://www.ibidem.eu/en/Series/Society-Politics/Soviet-and-Post-Soviet-Politics-and-Society/Who-Are-the-Fighters.html

https://cup.columbia.edu/book/who-are-the-fighters/9783838217772

The war in Ukraine has been fought with, among others, irregular armed groups since 2014—volunteers, paramilitaries, and mercenaries. Based on interviews in the Russian-controlled Donbas and with Ukrainian combatants, the contributions to this volume disclose various micro-dynamics of the mobilization, group formation, and fighting. Who were these fighters and who organized them? Russia has been increasingly employing mercenaries as a way to conduct undeclared, but ruthless wars beyond her borders. Ukraine’s formation of irregular armed groups in 2014 was a response to the army’s initially glaring inability to counter Russia’s military intervention. Most of the irregular battalions acted from the beginning under governmental orders. They have never operated autonomously, but compensated for operational weaknesses of regular armed groups. The initially high power of irregular battalions derived from state support, the capabilities of commanders, social networks, and the faculties of the fighters.

C o n t e n t s

The War in Ukraine and Irregular Armed Groups
Andreas Heinemann-Grüder ………………………………………………………….. 7

Organizations of Russian Nationalists in the Russia-Ukraine Conflict
Nikolay Mitrokhin ………………………………………………………………………. 15

Pro-Russian Irregular Armed Groups
Natalia Savelyeva ……………………………………………………………………….. 47

The Far-Right Predecessor Organizations of the Ukrainian Irregular Armed Units
Anton Shekhovtsov ……………………………………………………………………… 89

Irregular Armed Groups in Ukraine: State Savior or State Capture?
Andreas Heinemann-Grüder ………………………………………………………. 117

Between Frontline and Parliament: Ukrainian Political Parties and Irregular Armed Groups since 2014
Kostiantyn Fedorenko, Andreas Umland ……………………………………… 189

Ukrainian Volunteer Groups: Oversight by the Government
Leonid Poliakov ………………………………………………………………………… 229

The Long Shadow of the War: Return and Reintegration of War
Veterans Julia Friedrich, Theresa Lütkefend ………………………………………………. 255

Between Two Worlds: Internally Displaced Persons
Vyacheslav Likhachev ………………………………………………………………… 285

Media Policy of Armed Groups in Ukraine
Kostiantyn Fedorenko ………………………………………………………………… 309

Russia’s Corporate Warriors
Andreas Heinemann-Grüder ………………………………………………………. 333

Was die chinesisch-russische Allianz für den Westen bedeutet // Mit Hugon von Essen in der NZZ

Moskau und Peking machen Front in dem sich entwickelnden neuen kalten Krieg gegen den Westen. Ein ukrainischer Sieg auf dem Schlachtfeld und die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine sind beste Mittel, um beider Revisionismus einzudämmen.

https://www.nzz.ch/meinung/xi-macht-den-putin-was-die-chinesisch-russische-allianz-fuer-den-westen-bedeutet-ld.1832772

Julia Davis, In Their Own Words: How Russian Propagandists Reveal Putin’s Intentions. Stuttgart: ibidem Press 2024.

FRESH OFF THE PRESS

Julia Davis, In Their Own Words: How Russian Propagandists Reveal Putin’s Intentions. With a foreword by Timothy Snyder. 460 pp.

Publ. by ibidem-Verlag in the Book series “Ukrainian Voices”, vol. 54

Distr. by Columbia University Press & Gazelle Book Services.

https://www.ibidem.eu/en/Series/Society-Politics/Ukrainian-Voices/In-Their-Own-Words.html

This collection of essays and articles, written between 2019 and 2024 for such outlets as The Daily Beast and The Center for European Policy Analysis (CEPA), illuminates recent Russian international affairs through the lens of Moscow’s propaganda tactics. For more than two decades, the Kremlin’s agitators have been tasked to lay, in advance, the groundwork for various domestic and foreign actions by the regime of Vladimir Putin. Thus, Russian state-controlled media provides crucial clues for deciphering the—often sinister—goals that the government of Russia was and is planning to pursue abroad, from election interference to military invasions. The goal of the sum of these activities is the establishment of a new world order—with Russia at its helm. Before the large invasion of 24 February 2022, Russian state media portrayed the West as incapable of opposing Russian aggression. Putin’s propagandists cheered for war against Ukraine, predicting it would be quick and victorious. Misreading the ability of the West to unite and miscalculating Russia’s capabilities in confronting determined Ukrainians, Russia ended up in a quagmire of its own creation. In 2024, Putin’s decorated propagandists face the possibility of future scrutiny and potential prosecutions for their proactive incitement of genocide. They unravel, along with the Kremlin, having to tell multiple conflicting stories and condemn the same players they used to lionize. Backed into the corner, they resort to nuclear threats and demand even more blood from Ukraine, whose only crime is its desire for democracy and freedom.

Interview: Führt ein Sieg Trumps zur “Neuzeichnung” der europäischen Landkarte?

TOPSHOT – US President Donald Trump and Ukrainian President Volodymyr Zelensky shake hands during a meeting in New York on September 25, 2019, on the sidelines of the United Nations General Assembly. (Photo by SAUL LOEB / AFP) (Photo credit should read SAUL LOEB/AFP/Getty Images)

Interview: Führt ein Sieg Trumps zur “Neuzeichnung” der europäischen Landkarte?

a)     Wie schätzen Sie diese Besorgnisse osteuropäischer Politiker über einen Sieg Trumps ein?

Es gab in Osteuropa in den vergangenen 30 Jahren, anders als in Westeuropa, keine Gewöhnung an eine scheinbar heile Welt oder einen magischen Glauben an die politische Kraft von Friedfertigkeit. Die osteuropäische Erinnerung an zaristische und sowjetische Unterdrückung sowie westlichen Verrat an europäischen Werten ist zwar heute kaum noch lebendige Erinnerung. Dennoch wird die kollektive Wahrnehmung nationaler Sicherheit und internationaler Geopolitik in Mittelosteuropa bis heute vom Wissen etwa um den Molotow-Ribbentrop-Pakt 1939, die Aufteilung Europas in Jalta 1945 oder das Budapester Memorandum (mittels dessen die Ukraine nuklear entwaffnet wurde) von 1994 geprägt. Es gibt heute Vertrauen der Osteuropäer in die NATO, da die Allianz in Moskau als stark und entschlossen gefürchtet wird. Sollte sich der russische Respekt vor der NATO nach einem Sieg Trumps jedoch verringern, wären die mittelosteuropäischen Nationen sehr beunruhigt. Sie befürchten, dass sie dann wieder zu Russlands Freiwild werden – so wie es die Ukraine, Georgien und Moldau heute sind.

b)    Wie lautet Ihre Einschätzung zu der Frage, was ein Trump-Sieg für Osteuropa bedeuten würde bzw. ob und welche Folgen es hätte?

Eine klare Vorhersage ist schwer zu treffen, da Trump kein klares außenpolitisches Profil hat und psychisch instabil ist. Er gilt zwar als prorussisch, ja womöglich als von Putin mittels kompromittierender Informationen kontrolliert. Dennoch ist Trump aufgrund seiner Unvorhersehbarkeit auch ein Problem für den Kreml. So soll Trump kürzlich erklärt haben, dass – wenn er 2022 Präsident gewesen wäre – als Antwort auf Russlands Vollinvasion der Ukraine die Stadt Moskau bombardiert hätte. Viele Osteuropäer sind unzufrieden mit Biden und seiner Unentschlossenheit gegenüber Russland; jedoch ist Biden und die Demokratische Partei einschätzbar. Trump und seine Unterstützer gelten hingegen als Risiko. Die Funktionslogik der NATO als Verteidigungsallianz beruht auf Vertrauen, Klarheit und Voraussagbarkeit. Dies wird mit Trump als US-Präsident nicht mehr gegeben sein. Womöglich wird auch eine Niederlage Trumps bei den Präsidentschaftswahlen negative Auswirkungen auf das Funktionieren der NATO haben. Die USA könnten in inneren Konflikten versinken und außenpolitisch handlungsunfähig werden.

c)     “A Trump victory in 2024 would undoubtedly lead to the end of American support for Ukraine,” warnt Lt. Col. Alexander Vindman. Stimmen Sie dieser Aussage zu und was würde eine Niederlage der Ukraine für Osteuropa bedeuten?

Ich bin nicht ganz so pessimistisch wie Vindman, obwohl man sich selbstverständlich auf das Worst-Case-Szenario vorbereiten sollte. Europa muss sich auf ein Ende amerikanischer Hilfe für die Ukraine und Verwässerung der US-Sicherheitsgarantien im Rahmen der NATO einstellen. Allerdings würde Trumps auswärtiges Verhalten als nochmaliger Präsident weiterhin nicht nur von seiner instabilen Persönlichkeit und den schrägen Vorstellungen seines politischen Lagers bestimmt sein. Die Trumpisten können, auch wenn sie das Weiße Haus zurückerobern, amerikanische Institutionen und Traditionen nicht einfach übergehen. Daher sollte man sich zwar auf das Schlimmste vorbereiten, aber dennoch mit Hoffnung auf die Zukunft blicken.

d) Inwieweit könnte Trump als US-Präsident Putin in die Hände spielen?

Sollte – im schlimmsten Fall – die Ukraine keine US-Hilfe mehr bekommen und die Beistandsverpflichtung der Vereinigten Staaten unter Trump im Rahmen der NATO in Frage geraten, wird sich Europa schnell und grundsätzlich wandeln müssen. Eine Art europäische Rumpf-NATO müsste sich dann neu aufstellen. Sollte die NATO im Worst-Case-Szenario gar vollkommen verschwinden, würde sich die EU von einer lediglich wirtschaftlichen und politischen Gemeinschaft in ein Sicherheits- und Verteidigungsbündnis transformieren müssen. Mit Verleihung des EU-Kandidatenstatus an die Ukraine, Moldau und Georgien wurden die Union und ihre 27 Mitgliedstaaten 2022-2023 zudem mittelbare Teilnehmer von drei europäischen, bereits mehr oder minder blutigen Territorialkonflikten mit Russland. Auch schließen immer mehr europäische Staaten derzeit Sicherheitsabkommen mit der Ukraine ab, und die EU hat gerade ein gesondertes Sicherheitsabkommen mit Moldau unterzeichnet. Die Tragweite und Risiken der immer tiefer gehenden Involvierung der EU im postsowjetischen Raum würden wachsen, sollten sich die USA aus Europa zurückziehen. Das wäre eine Stunde der Wahrheit für den Kontinent und ein Prüfstand für die vielbesungene europäische Idee. Es stellte sich in den vergangenen 70 Jahren immer die Frage, ob es europäische Integration und gemeinsame Sicherheit nur gibt, weil und solange Washington seine schützende Hand über Europa hält. Wenn der amerikanische Schutzschirm wegfällt, könnte sich herausstellen, dass es nicht so weit her ist mit der Idee eines geeinten und solidarischen Europas. Die europäischen Staaten müssten in der NATO oder/und EU untereinander sowie in Bezug auf das sogenannte Assoziationstrio (Ukraine, Moldau, Georgien) eine Form und ein Maß von sicherheits-, außen- und verteidigungspolitischer Kooperation praktizieren, mit der sie bislang keine Erfahrung haben. Ob Moskau sich mit seinen Hegemonialansprüchen in Europa durchsetzen kann, wäre nach 70 Jahren keine Frage mehr primär an Washington, sondern abhängig davon, inwieweit sich die Menschen hier als Europäerinnen und Europäer mit allen daraus erwachsenden Folgen betrachten.

Interview: Sollte die Ukraine westliche Waffen auch auf russischem Gebiet einsetzen dürfen?

a) Können Sie das Zögern von Olaf Scholz bei dieser Entscheidung nachvollziehen oder sollte er sich Macron Entschlossenheit anschließen?

Die Zögerlichkeit von Scholz, anderen PolitikerInnen und auch etlicher ExpertInnen beruht auf einer grundsätzlichen Fehleinschätzung der Bestimmungsfaktoren russischer internationaler Verhaltensmodi. Heutige russische Außenpolitik – ob mit oder ohne militärische Mittel – will Ergebnisse erzielen, die der russischen Bevölkerung als Erfolge verkauft werden können. Das russische Regime ist zwar autoritär, jedoch von stabiler Unterstützung der Eliten und Bevölkerung abhängig. Putins Abenteuertum entwickelte sich im letzten Vierteljahrhundert vor dem Hintergrund, dass Moskaus militärische Aggressivität mehr oder minder ungestraft blieb bzw. sich westliche Strafmaßnahmen als Luftnummern entpuppten. Russlands äußere Aggressionen – ob nun in Georgien, Syrien oder der Ukraine – erzielten zumindest scheinbar Erfolge und hatten relativ geringe Kosten. Sie waren und sind bei den russischen Eliten sowie einfachen BürgerInnen mehr oder minder populär, wie Umfrageergebnisse zeigen. Ein Zurückschlagen der Ukraine mit westlichen Waffen auf russischem Territorium dürfte Putins bisherige und künftige Erfolgsbilanz in den Augen vieler Russen in Frage stellen. Es wird daher – trotz aller martialischer Rhetorik aus Moskau – die Aggressions- und Eskalationsbereitschaft des Regimes eher mindern als erhöhen.

b) Welche Gefahren sehen Sie als real, die Scholz als Argumente bringt?

Die Gefahr einer Eskalation der Spannungen zu einem gesamteuropäischen und nuklearen Krieg zwischen der NATO und Moskau ist natürlich gegeben. Diese Gefahr existiert allerdings schon seit 70 Jahren und war auch zu Zeiten eminent, als es weit mehr Atomsprengköpfe in Europa gab als heute. Wäre es in den 1950er Jahren nicht weise gewesen, auf Stalins Idee einer Herauslösung Westdeutschlands aus westlichen Strukturen einzugehen? Wäre dies damals nicht gute Friedenspolitik gewesen? Hätte man es der UdSSR in den sechziger Jahren nicht erlauben sollen, Atomraketen auf Kuba zu stationieren? War Kennedy damals nicht ein unverantwortlicher Kriegstreiber? Weitere ähnliche Beispiele ließen sich anfügen.
Noch ein Fall aus der jüngeren Geschichte: 2015 schoss die Türkei über Syrien in voller Absicht und vollkommen unverblümt einen russischen Kampfbomber ab. Beide russische Piloten kamen ums Leben. Die Antwort Russlands waren allerlei Drohungen und temporäre Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei. Nach circa einem Jahr wurde das türkisch-russische Verhältnis jedoch wieder partnerschaftlich.

c) Inwiefern sehen Sie die Möglichkeit, dass Putin durch Sabotage oder eines Insiderjobs dem Westen Angriffe mit zivilen Verlusten auf russischem Gebiet “unterjubeln” könnte?

Solche so genannten False-Flag-Aktionen sind möglich, ja sogar wahrscheinlich. Der Prototyp dieser Taktik sind die mysteriösen Bombenanschläge in Moskau, Bujnaksk und Wolgodonsk im Herbst 1999, deren politische Rückwirkungen Putin im Frühjahr 2000 erstmals ins Präsidentenamt beförderten. Allerdings würde sich heute die Frage stellen, wie genau Russland auf selbstinszenierte, angebliche westliche Verbrechen an russischen Zivilisten reagieren soll.
Moskau wird auch weiterhin Ergebnisse erzielen wollen, die der Bevölkerung als Erfolge verkauft werden können. Ein russisches Hineinziehen des Westens in den russisch-ukrainischen Krieg würde die Kräfteverhältnisse in Osteuropa verändern und Erfolgsaussichten Moskaus verringern, ja wäre sogar im Interesse der Ukraine. Daher wird es der Kreml – bei aller martialischer Rhetorik – vermeiden, politische Spannungen mit dem Westen in Richtung direkter militärischer Konfrontation mit der NATO zu eskalieren.

c) Auch US-Außenminister Blinken deutet nun Flexibilität an, bei bestimmten Umständen den Einsatz westlicher Waffen auf russischem Gebiet zu nutzen. Wäre das ein Game-Changer für den Krieg, wenn die USA auch nachziehen?

Dies wäre zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch für sich genommen zu wenig, um den Kriegsverlauf prinzipiell zu ändern. Dazu bedarf es größere konzertierter Maßnahmen, also etwa eine Kombination bisheriger Ansätze mit der
– Lieferung effektiverer Waffen an die Ukraine (Kampfflugzeuge, Taurus-Marschflugkörper usw.),
– Konfiszierung der eingefrorenen russischen Finanzmittel sowie ihre Übergabe an die Ukraine,
– Verschärfung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland und seine Handels- sowie Investitionspartner,
– Übernahme des Luftschutzes der Westukraine durch die NATO sowie
– Stationierung ausländischer Truppen williger Partnerländer im Hinterland der Ukraine.
Ein solches Gesamtpaket würde nicht nur den Kriegsverlauf ändern, sondern Moskau die Aussichtslosigkeit bzw. Risikohaftigkeit weiterer Eskalation demonstrieren. Militärische Erfolge wären dann für Putin kaum noch möglich. Damit wäre der Weg zu sinnvollen Friedensverhandlungen der Ukraine mit Russland frei.

Interview: Wie viel Putin zieht im Juni mit ins Europäische Parlament ein?

– Wie groß schätzen Sie den Einfluss aus Russland auf die Europawahl ein?

Das wird man erst nach den Wahlen sagen können. Das von der Organisationskultur des sowjetischen KGB geprägte heutige russische Regime findet immer neue Schwachpunkte und Subversionstaktiken, um westliche politische Systeme, liberale Institutionen und pluralistische Politik auszuhöhlen. Man kann im Voraus nur mit Sicherheit sagen, dass es Unterwanderungsversuche geben wird. Inwieweit diese erfolgreich sein werden und wie gut Verfassungsschützer demokratischer Staaten auf den Angriff vorbereitet sind, weiß man erst nach dem Ereignis. Man hofft, dass die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen von 2016, die Donald Trump vermutlich mit Hilfe russischer Geheimoperationen knapp gewann, allen Beteiligten von Parlaments- und anderen Wahlen in der EU eine Warnung sind.

– Welche Parteien in welchen Ländern sind besonders Putin-nah und könnten seine Interessen im EU-Parlament vertreten?

Die meisten zentristischen europäischen Parteien mit einst prorussischen Tendenzen sind im Lichte von Russlands Vernichtungskrieg gegen die Ukraine seit 2022 nun klar anti-Putin. Somit geht es fast nur noch um verschiedene radikale Parteien. Heute ist womöglich die AfD der wichtigste prorussische politische Akteur nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch auf europäischer Ebene sein. Allerdings sind sich die europäischen Nationalisten insgesamt – anders als noch vor 2022 – nicht mehr einig in ihrer Russlandunterstützung. Die italienische Rechte etwa war unter der Führung von Berlusconi, Salvini und Konsorten weitgehend pro-Putin; das hat sich unter Melloni geändert. Auch bei den europäischen radikalen Linken herrscht große Uneinigkeit. Eine Sonderrolle spielt die ungarische Regierung, die man inzwischen als kollektiven Agenten des Kremls in der EU und NATO bezeichnen kann. Allerdings hat Ungarn im Europaparlament nur geringes Gewicht.

– Gibt es Ihrer Meinung nach einzelne Politiker (aus Deutschland oder anderen Ländern), die Putins Ideologie, insbesondere natürlich in Bezug auf die Aggression in der Ukraine, in das EU-Parlament bringen könnten?

Die künftige AfD-Fraktion im Europaparlament wird unter Krah und Bystron eine prominente Rolle in dieser Hinsicht spielen. Zumal ihre Führung offenbar Russland nicht nur ideologisch nahesteht, sondern dem Kreml auch finanziell verpflichtet ist. Die ideologische Geisterfahrerei der heute vom einstigen „Flügel“ Höckes dominierten AfD geht inzwischen so weit, dass die französischen Rechtsradikalen – keineswegs moderat! – nicht mehr mir ihren deutschen Kollegen koalieren wollen. Auch hat sich Marine Le Pen nach ihrem früheren Flirt mit Putin im Lichte der russischen völkermörderischen Kriegsführung in der Ukraine nun von Moskau distanziert. Die AfD hingegen ist weiter auf prorussischem Kurs. Und das obwohl eine nationalistische Partei an und für sich Sympathie für UkrainerInnen haben müsste, die für die Erhaltung ihrer nationalen Unabhängigkeit, Staatlichkeit, Grenzen, Kultur sowie Identität kämpfen und sterben.

Интервью для DEUTSCHE WELLE о Российско-украинской войне

Интервью о Российско-украинской войне с Еленой Барышевой c 9:55

Deutsche Welle

Sind Peking und Moskau auf dem Weg zum Sieg? Interview zu den chinesisch-russischen Beziehungen

  1. Für Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ist der Kreml auf kein Land mehr angewiesen als auf den großen Nachbarn China. Was erhofft sich Putin von China angesichts des Ukraine-Krieges?

Offensichtlich will der Kreml von China so viel Unterstützung, wie er bekommen kann. Aufgrund der gemeinsamen antiamerikanischen und antiliberalen Frontstellung der beiden Autokratien und des Taiwanfaktors wird Russland auch weiterhin erheblich und womöglich noch größere Hilfe von China erhalten. Jedoch ist die Interessenlage Pekings eine in mancher Hinsicht andere als die Moskaus. Einerseits wäre eine noch stärkere chinesische Unterstützung Russlands für die ohnehin krisenanfällige chinesische Wirtschaft riskant, da der Westen Sanktionen gegen Banken und Firmen Chinas ausweiten könnte. Andererseits darf der pazifistischen und völkerrechtskonformen offiziellen Rhetorik Pekings mit Skepsis begegnet werden. China ist – wie die dosierte Unterstützung für Russland indiziert – an einer möglichst langen Fortsetzung des Krieges interessiert, da der Konflikt westliche Ressourcen bindet und Washingtons Aufmerksamkeit von den Aktivitäten Pekings ablenkt. China zieht als lachender Dritter Nutzen aus den verschiedenen Rückwirkungen des Krieges im gesamten euroasiatischen Raum – vor allem in Russland selbst, aber auch in Europa, Zentralasien, Ostasien usw.

  • In welcher großen Abhängigkeit befindet sich Russland zu China – militärisch sowie wirtschaftlich?

Die Abhängigkeit ist inzwischen groß und wird womöglich weiter wachsen. China ersetzt frühere westliche Handels- und Investitionspartner Russlands, und Chinas relative Macht gegenüber Russland steigt mit jedem Kriegsmonat. Die russische Rüstungswirtschaft erzeugt mit ihrer Produktion von Waffen und anderen Kriegsgütern ein Scheinwachstum, welches einen tatsächlichen ökonomischen Niedergang des Landes verschleiert. Freilich wird auch die chinesische Wirtschaft derzeit von Krisen geschüttelt. Doch wächst sie bislang weiter und profitiert vom russischen Rohstoffreichtum sowie großen Konsumgütermarkt. Hinzu kommt, dass Russland offenbar immer mehr Transfers seiner modernen Militärtechnologien nach China zulässt.

  • Inwiefern nutzt China Russlands missliche Lage zum eigenen Vorteil aus?

Peking will Moskau offenbar weder vollständig gewinnen noch auf ganzer Linie verlieren lassen. Ein russischer Sieg mit chinesischer Unterstützung würde Moskau stärken, jedoch den Westen von Peking weiter entfremden. Eine russische Niederlage würde Putins Regime destabilisieren sowie eine anschließende russische politische Transformation bzw. Destruktion auslösen. Dies könnte Russland als antiamerikanischen Juniorpartner Chinas ausschalten. Man sollte vor dem Hintergrund dieser Interessenlage und Pekings offensichtlicher Verletzung seiner Verpflichtungen gegenüber Kyjiw nicht allzu viel auf chinesische Friedensaufrufe geben. China hat wiederholt und offiziell – z.B. 1994 als offizieller Nuklearwaffenstaat im Zusammenhang mit dem Beitritt der Ukraine zum Atomwaffensperrvertrag sowie 2013 im Rahmen des inzwischen voll ratifizierten chinesisch-ukrainischen Freundschaftsvertrages – seinen Respekt für die Souveränität und Grenzen der Ukraine bekundet. Seit 2014 ist Pekings Scheinneutralität jedoch eine entscheidende Bedingung dafür, dass Russland seine unverblümte Grenzrevision und genozidale Aggression gegenüber der Ukraine durchsetzen kann.

d) Wie groß ist die Gefahr des geeinten Bündnisses China und Russland für die westliche Welt – vor allem für die USA?

Zurzeit erweckt die Allianz Pekings und Moskaus tatsächlich den Eindruck einer stabilen antidemokratischen und antiamerikanischen Einheitsfront, welcher zudem eine Reihe berüchtigter Schurkenstaaten, wie der Iran, Nordkorea oder Syrien, angehören. Doch sollte man nicht vergessen, dass autoritäre Regime bezüglich ihrer Außen- und Innenpolitik unter hoher Wechselhaftigkeit leiden. Die Weltgeschichte zeigt, dass offene politische Systeme, in denen Wettbewerb, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus möglich sind, nicht nur für ihre eigenen Bürger, sondern auch außenpolitisch leistungsfähiger sind. Sie können sowohl mit inneren Spannungen als auch mit Konflikten mit ihren internationalen Partnern besser umgehen. Wichtig ist für den Westen vor diesem Hintergrund, in ambivalenten Situationen wie der heutigen, seine Ent- und Geschlossenheit zu bewahren und konkret jetzt die Ukraine in vollem Umfang zu unterstützen. Ein mit westlicher Unterstützung errungener ukrainischer Sieg auf dem Schlachtfeld und die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine ist heute das beste Mittel zur Eindämmung des russischen und chinesischen Revisionismus.

Kurzinterview zu Putins jüngstem Postenkarussell

Warum dieses Personalschach?

Es gibt eine Reihe mehr oder minder plausibler Erklärungen für die merkwürdige Rochade in der russischen Führung. Diese Interpretationen erreichen jedoch – wie meist bei Kremlastrologie – keine vollständige Klarstellung. So sehen einige in der Ablösung des bisherigen Verteidigungsministers Sergei Schojgu eine Reaktion auf den russischen Misserfolg im Krieg gegen die Ukraine. Jedoch wurde Schojgu mit seinem neuen Posten als Sekretär des Sicherheitsrates Russlands, dessen Mitglied Schojgu bereits als Verteidigungsminister war, in gewisser Hinsicht befördert. Seinem Nachfolger Andrej Belousow wird nachgesagt, ein guter Ökonom zu sein. Daher gilt seine Ernennung als Zeichen, dass Russland die Umstellung auf Kriegswirtschaft beschleunigen will. Der ehemalige Vizepremier Belousow ist jedoch in gewisser Hinsicht mit seiner Ernennung zum Minister herabgesetzt worden. Er hat keine Erfahrungen im militärisch-industriellen Komplex und wird in seinem Ministerium eher mit Kriegslogistik als Kriegswirtschaft beschäftigt sein. 

Inwiefern verfolgt Putin hierbei eine Strategie?

Eine klare Strategie ist bislang nicht ersichtlich. Die Personalpolitik solcher Regime wie das Putins wird häufig eher von schwer erkennbaren intra-administrativen und machtpolitischen als offensichtlichen innen- oder außenpolitischen Motiven bestimmt. Womöglich kommen zu dieser ohnehin undurchsichtigen Lage noch irrationale Aspekte hinzu, welche noch schwerer zu entziffern sind. Ausländische Beobachter gehen bei der Beurteilung der sogenannten “Machtvertikale” Putins und ähnlicher Potentaten manchmal von einer strategischen Rationalität aus, die es so gar nicht gibt. Vielmehr gibt es einen “Kampf der Bulldoggen unter dem Teppich”, der sich genauer Beobachtung entzieht. Die verschiedenen Clans um Putin müssen in Balance gehalten werden, was dann unter anderem zu solchen Personalrochaden führt.

Wie ist die Versetzung Schoigus zu verstehen?

Mit der Entfernung Schojgus aus dem Verteidigungsministerium steigt die Macht des Generalstabschefs Walerij Gerasimow, der auch den Oberbefehl beim Krieg in der Ukraine hat. Das eigentlich Interessante an der Ernennung Schojgus zum Sicherheitsratssekretär ist die damit einhergehende Absetzung Nikolaj Patruschews von diesem bis dato einflussreichen Posten. Patruschew galt bislang als der zweitmächtigste Politiker Russlands. Daher warten Russlandbeobachter nun darauf, was jetzt aus ihm wird. Es ist jetzt schon abzusehen, dass mit Patruschews Ablösung die Bedeutung des Sicherheitsrates im russischen Machtgefüge sinken wird. Im Russland Putins haben nicht nur einzelne Ämter, sondern ganze Institutionen schwammig definierte Vollmachten. Putins Deinstitutionalisierung praktisch aller Organe des politischen Systems Russlands ist eine seiner entscheidenden “Errungenschaften” im letzten Vierteljahrhundert.

Wer ist Bjellousow und warum sieht Putin in ihm einen besseren Verteidigungsminister?

Die populäre Erklärung für Belousows Ernennung ist seine Wirtschaftskompetenz, die für Russlands Übergang zur Kriegswirtschaft gebraucht werde. Es bleibt jedoch unklar, inwieweit der Ökonom an der Spitze des gewaltigen Ministerialapparats überhaupt zum Zuge kommen wird. Das Verteidigungsministerium ist hochzentralisiert und nur wenig reformiert. Womöglich wird Belousow zunächst das Ministerium selbst reformieren müssen, bevor er sich mit strategischen Aufgaben befassen kann. Eine solche Reform während eines laufenden Krieges zu bewerkstelligen, dürfte nicht einfach sein. Ob all diese Erwägungen aber letztlich für Belousows Ernennung wichtig waren, wissen wir nicht. Womöglich spielten vielmehr von außen nur schwer erkennbare persönliche Präferenzen oder Clankonflikte eine entscheidende Rolle. Einige Beobachter gehen so weit, in Belousow den Kronprinzen für eine mögliche Nachfolge Putins zu sehen. Das kann so sein, kann aber auch nicht so sein. Die byzantinische russische Innenpolitik vollständig zu dekodieren ist weder für in- noch für ausländische Beobachter möglich.

Kurzinterview zur ATACMS-Lieferung und Kertschbrücke

Kurzinterview zur ATACMS-Lieferung und Kertschbrücke:

a) Die Gerüchte häufen sich, dass ein größerer Angriff auf die Krim-Brücke bevorsteht. Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, dass solch ein Anschlag tatsächlich bevorsteht und erfolgreich sein könnte? Zu welchem Zeitpunkt?

Dies scheint nun insofern möglich, als die ukrainische Armee mit den ATACMS-Flugkörpern die Kertschbrücke erreichen kann. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Kraft der Sprengköpfe der amerikanischen Raketen bereits einen solchen Angriff sinnvoll macht. Meinem Verständnis nach hat die Ukraine die Taurus-Marschflugkörper für die Zerstörung der Kertschbrücke erbeten. Insofern ist dies womöglich eher eine technische als taktische oder strategische Entscheidung für Kyjiw, die von der Einschätzung der Erfolgschancen einer Bombardierung der Brücke mit den ATACMS abhängt.

b) Wie gut ist Russland auf solch einen Angriff vorbereitet?

Der Kreml will aus einer Reihe von Gründen die Zerstörung der Brücke vermeiden. Es gibt eine erhebliche militärische Infrastruktur zum Schutz der Kertschbrücke. Während die Bedeutung der Brücke als Nachschubweg für die russische Armee gesunken ist, bleibt die symbolische Bedeutung des Bauwerks für Putin und sein Regime hoch. Es wäre eine enorme Blamage für den Kreml, gelänge es der Ukraine, die Brücke unbrauchbar zu schießen oder gar zum Einsturz zu bringen. Daher wird Moskau alles tun, um einen solchen Angriffe zu vermeiden bzw. abzuwehren. Es gibt nun gar Andeutungen, dass Russland als Antwort auf den Angriff auf die Brücke mit einem Einsatz taktischer Atomwaffen droht.

c) Sehen Sie in der Lieferung von Atacms einen Game-Changer für die Ukraine, wenn es um die Krim und Kertsch-Brücke geht?

Auch dies ist eher eine Frage an Raketentechniker bzw. Sprengkopfexperten als Politologen. Bislang war es so, dass nur die Taurus-Marschflugkörper als zur Zerstörung der Brücke tauglich galten. Womöglich ist dies auch der Grund für die Entscheidung der Bundesregierung, die Lieferung dieser deutschen Waffen an die Ukraine zurückzuhalten. Ich könnte mir vorstellen, dass Moskau für diesen Fall Berlin mit einer Art „Vergeltung“ gedroht hat.

d) Welche Folgen hätte ein erfolgreicher Großangriff auf die Krim-Brücke für Putin?

Ukrainische Angriffe auf die Brücke hat es schon einige gegeben. Die Frage ist eher nach den Folgen einer eventuellen Zerstörung des Bauwerks. Dies wäre sowohl für die russischen Truppen auf der Krim und in der südlichen Festlandukraine als auch für das Image Putins innerhalb Russlands problematisch. Womöglich ist die innenpolitische Gretchenfrage auch der Grund für die jüngst erneuerte Drohung Moskaus, taktische Atomwaffen in der Ukraine einzusetzen.